Bad Mergentheim. „Das ist sehr ärgerlich, die Doku war nicht neutral und wir hatten den Eindruck, hier stürzt man sich auf das DRK“, leitet Anna Deister, Geschäftsführerin des DRK-Kreisverbands Bad Mergentheim, das Gespräch und ihre Kritik am Fernsehsender SWR ein. Dieser hatte in einer knapp 90-minütigen Doku unter dem Titel „Rettung im Südwesten - Wenn die Hilfe versagt“ zahlreiche Aspekte rund um die Abläufe im Rettungswesen analysiert. Der Tenor: An vielen Stellen verbesserungswürdig.
Der Ärger von Anna Deister und Natalie Kusche, die den Sozialdienst im Kreisverband leitet, bezieht sich dabei auf einen Aspekt der ausführlichen Dokumentation. Denn nach knapp 50 Minuten kommt das Thema Hausnotruf zur Sprache. Der Hausnotruf ist ein Service, bei dem Anbieter wie das Rote Kreuz Geräte für Senioren bereitstellen, mit denen diese in Notsituationen unmittelbar einen Hilferuf absetzen können. Eine Unterstützung beim weitgehend selbstbestimmten Leben in den eigenen vier Wänden - so der Grundgedanke, doch dazu später mehr.
Der SWR kritisiert das Modell des Hausnotrufs in seiner Doku minutenlang. Für die private Dienstleistung, die mit dem Rettungsdienst „nichts zu tun hat“, würden mangels Personal und Fahrzeugen Rettungsmittel eingesetzt. Von „Insidern“ würden „alarmierende Zustände“ geschildert, es gebe „zu 99 Prozent Fehleinsätze“ und „unnötige Rettungswagenfahrten“. Vorschriften, wonach eben keine Rettungsmittel für den Hausnotruf eingesetzt werden dürfen, würden nicht befolgt. Dieses Problem bestehe nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern auch in Baden-Württemberg. „Wir können doch nicht für solche Einsätze Rettungsmittel blockieren“, äußert sich ein Beteiligter in der Doku des SWR.
Vertreterinnen des Roten Kreuzes bestreiten Vorwürfe
Ein schwerer Vorwurf, den Deister und Kusche nicht auf sich sitzen lassen wollen. Für das gesamte Rote Kreuz können sie dabei nicht sprechen, denn der Service des Hausnotrufs wird individuell von den Kreisverbänden organisiert. Doch für den Zuständigkeitsbereich des Kreisverbands Bad Mergentheim, der neben der Kurstadt auch die Kommunen bis Creglingen im Oberen Bezirk umfasst, bestreiten sie die gemachten Vorwürfe.
„Der Vorwurf ist falsch und unfair“, macht Natalie Kusche klar. Rund 400 solcher Hausnotrufgeräte gebe es, die zuerst zentral in Karlsruhe eingehen. Dort würden nach Ersteinschätzung „nur wichtige“ Alarme nach Bad Mergentheim zu den Disponenten in die Leitstelle kommen. Rund 240 waren es 2023. Von diesen würden wiederum alle Alarmierungen ohne eindeutigen Notfall zuerst vom sogenannten Hintergrunddienst angefahren. Der Hintergrunddienst, das sind viele Ehrenamtliche sowie Personal des Sozialdienstes, also kein Rettungspersonal.
Der Hintergrunddienst könne vor Ort gegebenenfalls Rettungsmittel „nachalarmieren“, sofern das erforderlich ist, weil zum Beispiel ein Sturz doch eine schwerere Verletzung nach sich zog als gedacht. Von einem unnötigen Fall könne dann aber keine Rede mehr sein. Zum Nachalarmieren komme es aber nur selten, erklärt Kusche. Die „sehr engagierten“ Ehrenamtlichen würden täglich zwischen 18 und 7.30 Uhr die Nachtstunden sowie Wochenende und Feiertage abdecken, der Rest von Mitarbeitern des Sozialdienstes gestemmt.
“Unnötige Rettungseinsätze lassen sich nie zu 100 Prozent verhindern“
Der Hintergrunddienst als wichtige Zwischenebene zum „Filtern“ der Einsätze würde vielerorts gar nicht existieren, lautet ein weiterer Vorwurf des SWR. Für Bad Mergentheim macht die Geschäftsführerin klar: „Ohne diesen Hintergrunddienst wäre der Hausnotruf nicht zu halten“. Sie verweist zudem auf die sich zuspitzende Gesetzeslage, die Rettungsmittel für Hausnotrufe ausschließt. Dies tun Vertreter des Roten Kreuzes auch in der Dokumentation.
Kommt es im Raum Bad Mergentheim also wirklich nie zu „unnötigen“ Einsätzen von Rettungsmitteln, wozu neben den Rettungsfahrzeugen auch das Notarzteinsatzfahrzeug gehört? „Das lässt sich nie zu 100 Prozent verhindern, wir minimieren diese Fälle aber“, erwidert Deister. Eine Art dauerhafte, regelmäßige und unerlaubte Nutzung von Rettungsmitteln im Bereich des Bad Mergentheimer Hausnotrufs gibt es laut Kusche und Deister aber nicht. „Wir haben hochqualifizierte Disponenten, ich stehe hinter jedem Einzelnen. Sie arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen“, lobt Anna Deister in diesem Zusammenhang die Arbeit der Leitstelle, die solche Hausnotrufalarme bearbeitet und über den Mitteleinsatz entscheidet.
Doch Sozialdienstchefin Kusche bezeichnet den Vorwurf nicht nur als „falsch“, sondern auch als unfair. Wieso? „Das Umfeld wird allgemein schwieriger, die Leute im Hausnotruf-Service sind mittlerweile in deutlich schlechterem Zustand als früher, insbesondere Demenz ist ein großes Thema“, erklärt sie. Die korrekte Anwendung sei da ohnehin erschwert. Ablehnen wolle man Anfragen nach einem solchen System allerdings nicht, weshalb es selbst in gesundheitlichen ‚Grenzfällen‘ noch installiert wird. Der allgemein schlechtere Zustand der Kundschaft habe auch mit den enorm gestiegenen Kosten für Plätze in den Pflegeheimen zu tun, viele würden den Wechsel in ein Pflegeheim vor dem Hintergrund dieser Kosten so lange wie möglich hinauszögern. „Der Hausnotruf gibt Sicherheit fürs Zuhause bleiben“, so Deister.
Autor: Simon Retzbach