So funktioniert die Notfallversorgung im Main-Tauber-Kreis
Zwischen den Jahren ist traditionell die Zeit der Entschleunigung. Doch nicht alle können entspannen, in der Integrierten Leitstelle geht die Arbeit nie aus. Wie funktioniert die zentrale Anlaufstelle für Notfälle?
Main-Tauber-Kreis. Nur wenige Räume im Landkreis dürften besser geschützt sein als die der Integrierten Leitstelle (ILS). Durch mehrere, von Fingerscannern geschützte Türen gelangt man zum Herzstück des 2017 neu erbauten Leitstellengebäudes in der Bad Mergentheimer Rotkreuzstraße. Hier sitzen die Disponenten, welche die Notrufe aus der Bevölkerung entgegennehmen und für schnelle Hilfe vor Ort sorgen. Als Absicherung vor möglichen Anschlägen, in erster Linie jedoch aufgrund des Datenschutzes ist ihr Arbeitsplatz so penibel abgeschirmt.
Sebastian Adler ist einer der Disponenten. Nach zehn Jahren im Rettungsdienst ist er nun seit sieben Jahren Teil der Leitstelle. „Hier wird alles alarmiert, was nicht die Polizei ist“, beschreibt er. Das sind neben dem Rettungsdienst und der Feuerwehr auch das Technische Hilfswerk, die DLRG, die Rettungshundestaffel, Notfallseelsorger oder die Helfer vor Ort. Ein breites Repertoire an Hilfsmöglichkeiten, ein Großteil der Anrufe ist jedoch ein Fall für das Rote Kreuz.
Der Raum erinnert stark an die Arbeitsplätze der Frankfurter Börse. Neben einer großen Projektion an der Wand sind die einzelnen Schreibtische mit zahlreichen Monitoren gefüllt, vor denen in der Tagschicht drei, nachts zwei Disponenten sitzen und die Anrufe entgegennehmen.
Nicht die einzige Ähnlichkeit zur Börse: Auch die betriebsame Hektik, die an den Finanzplätzen vorherrscht, ist in dem Raum zu spüren. Ständig klingelt und blinkt es, das charakteristische Rauschen des Funks ist ebenfalls zu hören. Gar nicht so leicht für einen Außenstehenden, da den Überblick zu behalten. Kein Problem für den erfahrenen Rettungsdienstler und Disponenten Sebastian Adler. Er kennt den Sinn hinter all den Monitoren und auch die unzähligen Abkürzungen sind für ihn kein Problem.
Für den ganzen Main-Tauber-Kreis werden in der ILS alle nicht-polizeilichen Notfälle koordiniert. 85 Prozent, so eine Schätzung Adlers, sind für den Rettungsdienst. Die häufigsten Anrufe? „Wir haben oft Stürze, gerade bei älteren Menschen. Im Sommer kommt noch die Austrocknung hinzu, die allerdings ähnliche Symptome wie der Schlaganfall verursacht. Und auch die Atemwegserkrankungen nehmen im Jahresvergleich eher zu“, erzählt der Disponent und stellvertretende Leitstellenleiter.
Zusammen mit Leiter Matthias Hoffmann sind es gerade mal 17 Personen, die in der Leitstelle arbeiten und Notfälle des ganzen Landkreises mit seinen gut 130 000 Einwohnern rund um die Uhr betreuen. Es gibt nicht eine Sekunde, in der die ILS nicht erreichbar wäre. Stromausfälle, Virenangriffe, Technikprobleme oder Krankheiten der Mitarbeiter – auf alles ist man vorbereitet, der Betrieb darf zu keiner Zeit gefährdet sein.
Und was passiert nun am anderen Ende der Telefonleitung, wenn man den Notruf wählt? Disponenten wie Sebastian Adler haben auf ihren zahlreichen Bildschirmen alle Rettungsfahrzeuge von Rotem Kreuz und Feuerwehr im Landkreis eingeblendet. Auch von den benachbarten Landkreisen Schwäbisch Hall, Hohenlohe und Neckar-Odenwald sind die Fahrzeuge zu sehen, da alle über das selbe Computerprogramm arbeiten und miteinander verbunden sind. „Es gilt der Grundsatz, das nächstgelegene Rettungsmittel zu wählen und das kann auch mal eines aus dem Nachbarlandkreis sein“, erklärt Adler.
Einsätze außerhalb
So kommt es auch zu Einsätzen außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereiches. „Wir haben zum Beispiel in Röttingen ein Pflegeheim, das man von Creglingen aus in acht bis neun Minuten erreicht. Wenn von dort ein Anruf kommt, fahren wir hin, auch wenn Röttingen außerhalb des eigenen Gebiets liegt“, erklärt Adler. Umgekehrt werde in Randlagen des Main-Tauber-Kreises auch von benachbarten Kreisverbänden ausgeholfen, wenn diese verfügbar und schneller sind als die eigenen Rettungsmittel. Dies ist beispielsweise häufiger in Freudenberg der Fall, das von den Kollegen aus dem bayrischen Miltenberg angesteuert wird.
Händisch tippt er in Sekundenschnelle erste Eckdaten zum Einsatz ein, schickt diese Information dann raus an die passenden Fahrzeuge von Feuerwehr oder Rettungsdienst. Der Computer macht hier Vorschläge, sortiert nach Nähe zum möglichen Einsatzort. „Im Optimalfall, das hängt aber natürlich auch vom Anrufer ab, haben wir in unter einer Minute oder sogar im Sekundenbereich die Alarmierung an die Rettungsmittel fertig“, nennt der erfahrene Disponent eine Zielmarke.
Die Arbeit wird für das Team nicht weniger, ganz im Gegenteil. „Das Anrufaufkommen steigt von Jahr zu Jahr. Wir haben eine alternde Gesellschaft und speziell hier im Landkreis eine hohe Anzahl an Pflegeheimen“, schildert Sebastian Adler. Das Jahr 2023 hat er dabei bislang „etwas humaner“ im Vergleich zu den Hochzeiten der Corona-Pandemie erlebt. „Das war sehr herausfordernd, da war viel Angst und Unsicherheit dabei“, blickt der stellvertretende Leiter zurück. Das Problem voller Krankenhäuser wirke jedoch nach.
Eine Reaktion auf gestiegenes Anrufvolumen und die durchaus langen Strecken im Flächenlandkreis war auch die probeweise Einrichtung eines Rettungswachenstandortes in Lauda. Dieser sei eine Erleichterung, zieht Adler ein positives Zwischenfazit.
Wie sieht die Zeit zwischen den Jahren in der Leitstelle aus? Wird es hier ruhiger? „Wir beobachten vor allem andere Einsätze als sonst. Es sind dann mehr psychiatrische Einsätze. An Weihnachten hat man Zeit und Ruhe, viel über sein Leben nachzudenken und das löst bei manchen Menschen dann diese Probleme aus“, beschreibt er.
Der Beruf bleibt also dauerhaft fordernd. Auch wenn die Disponenten der ILS für den Laien wie reine „Schreibtischhengste“ wirken, täuscht dieser Eindruck gehörig. „Alle Kollegen hier sind erfahrene Rettungsdienstler und können sich durch die Anrufe sehr gut in die Situation vor Ort reinversetzen, da entstehen direkt Bilder im Kopf. Wir leiten auch telefonisch Reanimationen an, da ist man für längere Zeit intensiv dabei, auch wenn es nur durchs Telefon ist. Die Notfälle sind für uns sehr greifbar“, gibt der Disponent Einblicke.
Was die Bevölkerung tun kann, um die anspruchsvolle Arbeit der Integrierten Leitstelle zu unterstützen, lesen Sie in einem separaten Artikel.