In ständiger Bereitschaft für Patienten
Drohender Ärztemangel zwang die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württembergs (KVBW) zur Neuregelung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes.
Main-Tauber-Kreis. Mit Eröffnung der Bereitschaftspraxen im März 2014 in Bad Mergentheim und Wertheim wurde im Main-Tauber-Kreis der erste entscheidende Schritt zur Entlastung der Hausärzte getan. Dr. Adalbert Weber ist Arzt für Allgemeinmedizin in Bad Mergentheim und Kreisnotdienstbeauftragter. Nach fünf Jahren Erfahrung zieht er Bilanz. Seit der Reform ruht der Bereitschaftsdienst auf zwei Säulen: Den beiden Notfallpraxen, auch Bereitschaftspraxen genannt, sowie dem Fahrdienst, einem mobilen ärztlichen Bereitschaftsdienst.
„Nachdem die ersten Anlaufschwierigkeiten überwunden waren, hat sich bald gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das heutige Bereitschaftskonzept ist das Ergebnis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der KVBW, aber auch des guten, kollegialen Miteinanders mit meinem Stellvertreter, Dr. Roland Rechtenwald, sowie dem Leiter der Notfallpraxis in Bad Mergentheim, Dr. Franz Hoch, und dessen Vertreter Dr. Carsten Köber“, betont Dr. Weber.
Neuordnung war unumgänglich
Dr. Weber wirft einen Blick zurück. „Vor der Reform war der Main-Tauber-Kreis in zehn bis 15 Dienstgruppen eingeteilt. Einer Gruppe gehörten je nach Lage des Einsatzgebietes fünf bis 20 Ärzte an, von denen jeder mit mindestens 20 Bereitschaftsdiensten pro Jahr rechnen musste. In ländlichen Regionen, wo Arztpraxen dünn gesät sind, waren die Ärzte häufiger im Einsatz – eine unbefriedigende Situation, die nicht zuletzt für den Ärzteschwund auf dem Lande verantwortlich war. Hinzu kam, dass die ehemals einwöchigen Bereitschaftsdienste extrem anstrengend waren.“
„Auf dem niedergelassenen Arzt lastete ein immenser Druck“, erinnert sich Dr. Weber. „Einerseits musste er seine eigene Praxis am Laufen halten, anderseits sich die Nächte um die Ohren schlagen, denn an Nachtruhe war in Bereitschaft kaum zu denken.“
Ziel der Neuorganisation war eine gerechte Verteilung der Dienste und die Entlastung der Ärzte. Zum Vergleich: Heute müssen die niedergelassenen Ärzte nunmehr etwa acht Bereitschaftsdienste jährlich übernehmen. „Wir möchten die „Landarztpraxis“ für junge Mediziner wieder attraktiv machen und so dem drohenden Ärztemangel in der Region begegnen“ resümiert Dr. Weber.
Ein langer Weg in vielen Schritten
Eine Gebietsreform war die erste Maßnahme. „Die Zusammenlegung der Dienstgruppen zu zwei großen Bezirken, dem Altkreis Bad Mergentheim und dem Altkreis Tauberbischofsheim, war eine Mammutaufgabe“, erinnert sich Dr. Weber. In jedem der beiden Bezirke wurde eine Bereitschaftspraxis eingerichtet, eine am Caritaskrankenhaus in Bad Mergentheim, die andere an der Rotkreuzklinik in Wertheim.
Erkrankten, die mobil sind, steht dort an Wochenenden und an Feiertagen jeweils ein niedergelassener Arzt zur Verfügung. An allen Wochentagen ist zusätzlich für jeden Bezirk ein Arzt im Besuchsdienst unterwegs. „Der Besuchsdienst ist für Patienten gedacht, die außerhalb der Öffnungszeiten der Bereitschaftspraxen dringend einen Arzt benötigen, sowie für bettlägerige, nicht transportfähige Kranke“, erklärt Dr. Weber. Dieser Dienst ist unter Telefon 116 117 abrufbar.
„Uns war es wichtig, dass der mobile Bereitschaftsdienst mit einem Fahrservice gekoppelt ist. Das Deutsche Rote Kreuz und die Malteser teilen sich den Fahrdienst, stellen Einsatzfahrzeuge sowie medizinisch ausgebildete Fahrer“, ergänzt Dr. Weber. Zügig und sicher bringt der Fahrdienst den Arzt zum Patienten (wir berichteten).
„Natürlich vergrößern sich die Strecken zwischen den einzelnen Einsatzorten – die Anzahl der Einsätze hat sich nicht erhöht“, versichert Dr. Weber. Das ist dem Zusammenspiel von mobilem Bereitschaftsdienst und Bereitschaftspraxen zu verdanken, die einen Großteil der Patientenversorgung auffangen.
Aufgaben auf vielen Schultern
Jeder niedergelassene Arzt ist zum Bereitschaftsdienst verpflichtet, also nicht nur Allgemeinmediziner, sondern auch Fachärzte wie Orthopäden, Gynäkologen oder Internisten.
Ein Kritikpunkt am neuen System: Patienten befürchten, dass der Bereitschaftsarzt nicht immer über die nötige fachliche Kompetenz verfügt. Dr. Weber entkräftet diese Ängste: „Jeder Arzt hat vor seiner Spezialisierung ein allgemeines medizinisches Studium durchlaufen. Vor ihrem Einsatz absolvieren die Ärzte eine intensive Ausbildung, bringen ihr Wissen auf aktuellen Stand und sind somit für den Bereitschaftsdienst gut gerüstet.“
Die Zahl der niedergelassenen Ärzte werde durch so genannte „Poolärzte“ aufgestockt – freiwillige Nichtvertragsärzte. Bereitschaftsdienst sei keine Frage des Alters. „Bei uns in Baden-Württemberg gilt, so lange ein Arzt praktiziert, muss er Bereitschaftsdienst leisten. Es gibt nur wenig Gründe, die ihn davon befreien, eine schwere Erkrankung beispielsweise“, betont Dr. Weber, in dessen Zuständigkeitsbereich auch die Prüfung von Anträgen auf Befreiung vom Bereitschaftsdienst fallen.
Funktionieren kann der Bereitschaftsdienst nur, wenn alle Beteiligten partnerschaftlich zusammenarbeiten. Auch der Patient ist Teil des Systems und eben nicht nur Dienstleistungsempfänger.
Unverständlich, dass Patienten durch rücksichtsloses Verhalten die Funktionsfähigkeit des Systems gefährden, von dem sie selbst am meisten profitieren. „Wenn ein Anrufer den mobilen Bereitschaftsdienst 80-mal im Quartal anfordert – immer wegen Geringfügigkeiten, oder wenn ein ’Patient’ nachts um 23.30 Uhr wegen ’Verstopfung’ nach dem Notarzt verlangt, dann ist dies ein grober Missbrauch“, erklärt Dr. Weber verärgert. Leider seien das keine Einzelfälle. Die Zeit, die für solche Einsätze sinnlos verbraucht werde, fehle für Patienten, die dringend Hilfe benötigten.
„Ein besonders Ärgernis ist“, berichtet Dr. Weber, „dass Patienten häufig – wissentlich oder unwissentlich – die Notaufnahme in den Krankenhäusern mit der Bereitschaftspraxis verwechseln.“ Die Notaufnahme sei eine Einrichtung der Kliniken zur raschen Aufnahme von lebensbedrohlich erkrankten Patienten. Patienten mit leichteren Erkrankungen, mit denen sie normalerweise ihren Hausarzt aufsuchen würden, seien dort völlig fehl am Platz. Die allseits bekannte Notrufnummer 112 solle nur bei wirklich schweren Notfällen gewählt werden.
Gut und nicht ganz billig
Bleibt noch die Frage: Wer bezahlt das alles – Einsatzwagen, Fahrtkosten, Fahrdienst, Miete und Ausstattung der Bereitschaftspraxen und einiges mehr? „Die Kassenärztliche Vereinigung unter Beteiligung der Krankenkassen trägt die Kosten für ein System, das den Patienten eine medizinische Versorgung rund um die Uhr gewährleistet“, so Dr. Weber. „Jeder niedergelassene Arzt muss sich sowohl mit einer Kopfpauschale als auch einem Zusatzbeitrag beteiligen, der nach der Höhe seines Einkommens bemessen wird.“
Resümee nach fünf Jahren
Zufriedenheit auf allen Seiten? Dr. Weber beantwortet die Frage klar mit „Ja“ – nach anfänglichen Vorbehalten inzwischen bei allen seinen Kollegen und weitgehend auch bei den Patienten. „Menschen, die nie zufrieden sind, gab es früher und wird es auch künftig geben.“
Und wie sieht es aus mit dem Ärzteschwund auf dem Lande? „Wir hatten 2018 in Baden Württemberg einen Zuwachs an Weiterbildungsassistenten im Fach Allgemeinmedizin von zehn Prozent. Ob das auf die Verbesserung der Bedingungen zurückzuführen ist und wie viele dieser angehenden Mediziner sich letztlich im ländlichen Bereich niederlassen werden, ist schwer zu sagen.“
„Dem beängstigenden Schwund der Allgemeinen Arztpraxen scheint Einhalt geboten zu sein“, fasst Dr. Weber das Ergebnis hoffnungsvoll zusammen.
© Fränkische Nachrichten, Freitag, 15.02.2019